War Benjamin ein Philosoph?
Nein, verdammt noch mal!
Der Mann hat so einen Dünnsinn geschrieben, dass man sich nur noch an den Kopf fassen kann. Seine Behauptungen sind so absurd, so völlig unbegründet und abwegig wie Fieberträume, seine Argumente hinken an allen Ecken und Enden, seine Modelle sind so fragil wie Kartenhäuschen, seine vollkommenes Defizit an Begründung schreit zum Himmel, seine Terminologie ist so stringent wie Wasserstoffatome im Orkan, seine Konzepte so Kohärent wie das Licht einer Kerze. Puh.
Benjamin war Metaphysiker und zwar im schlechtesten Wortsinne. Er setzt Gott/Magie/Esoterik immer grundsätzlich an genau jene Stelle, an der eigentlich eine Begründung für seine haarsträubenden Thesen stehen müsste. Benjamins Sätze beginnen häufig mit: „Es ist eine metaphysische Wahrheit, dass [hier eine unglaublich weit hergeholte, dem gängigen Verständnis zuwiderlaufende These einsetzen]“. Dieser apodiktische Stil brachte mal jemand auf die originelle Formel, Benjamin betreibe eine „Konstatierontologie“. Tatsächlich hatte er es in seiner Zeit immer sehr schwer, ernst genommen zu werden. Während Husserl sich daran machte, die Philosophie zu einer „exakten Wissenschaft“ zu machen und in seinem Schatten Heidegger zum alles entscheidenden Schlag gegen die Metaphysik ausholte, stellte sich Benjamin hin und betrieb laut und munter seine metaphysischen Studien, als hätte es Kant und Hegel nie gegeben. (Wobei er mit ersterem durchaus vertraut war … jedenfalls soll er ihn gelesen haben … oder über ihn meditiert haben oder so was … sagt man … ach, weiß der Teufel) Seine Philosophie jedenfalls war keineswegs Zeitgemäß. Er selbst sieht sich in Tradition der Romantik und tatsächlich sind vor allem seine Frühschriften deutlich voraufklärerisch, man könnte sagen prämodern, was seine spätere Marxadaption in sehr eigentümlichen Farben schillern lässt. (Irgendwie, als ob ein rasiertes Känguru in einen Eimer Farbe gefallen ist und sich anschließend im Stroh gesuhlt hat … (hey, so sind nun mal meine Assoziationen), ziemlich strange jedenfalls.)
Noch vor dieser „Marxistischen Wende“, wie man so sagt, versuchte er tatsächlich seine Habil abzulegen (man muss fairer Weise sagen, dass er gar nichterst versuchte sie in Philosophie abzulegen, sondern gleich bei den Germanisten anklopfte). Sie wurde [ natürlich] abgelehnt. Ich hab sie gelesen – ehrlich, ich hätte genauso gehandelt. Wenn ich es mir recht überlege, hätte er bei mir dafür nicht mal den Magister bekommen. Trotzdem, nette Fleißarbeit. … aber dieser himmelschreiende BLÖDSINN ….
Weil er sich schließlich mit dem sehr viel jüngeren Adorno anfreundete, ließ dieser ihn während des Krieges in seiner Exilzeitschrift ein paar Artikel (sehr wenige) publizieren. (Deswegen sagen manche, er sei der Vordenker der kritischen Theorie … (HAHAHAHAA)). Tatsächlich waren Adorno Benjamins Artikel mehr als unangenehm. Selbst in einer Zeit, da Benjamin bereits aus Deutschland geflohen war und in Paris sitzend um jede Publikationsmöglichkeit bettelte, nahm Adorno trotz Benjamins inständigem Flehen nur hier und da einen Aufsatz an und das auch nur nach vielfacher Überarbeitung. Adorno selbst charakterisierte Benjamins Werk gerne als „esoterisch“ und das war keinesfalls nett gemeint. Um so mehr kippte er aus den Latschen, als ihn schließlich die erste Welle der Benjaminrezeption umspülte. Zwar hatte er sie selbst ausgelöst, indem er Benjamin nach dem Krieg und nach dessen Tod zuerst publizierte, aber solch ein Echo hätte er wohl nie erwartet. Die Studentenrevolte hatte Benjamin für sich entdeckt und ihn dann nach den ersten Gehversuchen sogar gegen Adorno selbst gerichtet – Shit happens.
Tatsächlich hatte Adorno einen wesentlichen Zug Benjamins Werk übersehen. Seine universale Zitierfähigkeit. Griffige Formeln, leuchtende Bilder und stechende Ausrufezeichen sind die großen Vorzüge seiner Texte. Tatsächlich gehört Benjamin bis heute zu den meistzitierten Philosophen deutscher Sprache. Damals, als Worte gerne auf Transparente gedruckt oder lauthals über die Straße geschrieen wurden, war Benjamin natürlich die Killerapplication schlechthin. Begründungen brauchte man ja sowieso keine (man war ja eh die Guten), nur laut sollte es sein, und schön musste es klingen, irgendwie intellektuell.
Das war Anfang der 70er. Nach der Revolution machte sich die Kunst an Benjamin heran, und konnte auf diese Weise, trotz des von Hegel ausgestellten Todesscheines, guten Gewissens weiterexistieren. Aus Benjamins assoziativer und metaphysischer Betrachtungsweise ergeben sich bis heute für die Künstler ungeahnte Bauchpinselstriche, die sie seit dem voller Stolz öffentlich vor sich hertragen.
Die zweite große Rezeptionswelle ging dann vom Poststrukturalismus aus. De Man und Derrida hatten sich Benjamins Werk zugewendet, (Man muss sagen, Derrida kann nicht besonders gut Deutsch) und sich hier und da von ihm bestätigen lassen. Seit dem gibt es die putzigsten Versuche Benjamin zum postmodernen Theoretiker avant la lettre umdeuteln. Sie reichen von schlicht hirnrissig bis dreist aber da sind sie ja, wie gesagt, nicht die ersten.
Also, Benjamin heute: Wie kann so was nur passieren? Wie kann Griechenland nur Europameister werden? Das haben sich damals viele gefragt, weil doch eine so durchschnittliche Mannschaft mit einer so antiquierten Spielweise alle A-Mannschaften aus dem Rennen kicken konnte. Aber das ist ganz einfach: Während Deutschland mit seinen Konzepten von Gestern bei den hochmodernen Spielweisen von heute nur noch einpacken konnte, setzte Rehakles mit den Konzepten von Vorgestern einen Stich nach dem anderen. Weil Benjamins Philosophie von Vorgestern ist, ist er eben heute wieder aktuell und sticht in heutigen Debatten locker Leute von Gestern aus, wie zum Beispiel Adorno.
So und nun ist genug gelästert. Gehet hin und lest ihn. Benjamin ist ein wichtiger Philosoph, ja, einer der wichtigsten und das meine ich ehrlich. Warum? Weil er Mut hat. Benjamin hat sich mit Problemen beschäftigt, die viele Philosophen gerne ausklammern. Was ist das gerade für ein Gefühl, das mich erlangt, wenn ich dies tue oder jenes betrachte. Was ist das für eine merkwürdige Macht, die mich ergreift, wenn ich vor einem Kunstwerk stehe. Was ist diese geheime und unaussprechliche Sehnsucht, die mich befällt, wenn ich ein Gedicht lese. Benjamin macht das Sprachlose sprechen. Versprochen.
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