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13.12.05

War Benjamin ein Philosoph?

Nein, verdammt noch mal!

Der Mann hat so einen Dünnsinn geschrieben, dass man sich nur noch an den Kopf fassen kann. Seine Behauptungen sind so absurd, so völlig unbegründet und abwegig wie Fieberträume, seine Argumente hinken an allen Ecken und Enden, seine Modelle sind so fragil wie Kartenhäuschen, seine vollkommenes Defizit an Begründung schreit zum Himmel, seine Terminologie ist so stringent wie Wasserstoffatome im Orkan, seine Konzepte so Kohärent wie das Licht einer Kerze. Puh.
Benjamin war Metaphysiker und zwar im schlechtesten Wortsinne. Er setzt Gott/Magie/Esoterik immer grundsätzlich an genau jene Stelle, an der eigentlich eine Begründung für seine haarsträubenden Thesen stehen müsste. Benjamins Sätze beginnen häufig mit: „Es ist eine metaphysische Wahrheit, dass [hier eine unglaublich weit hergeholte, dem gängigen Verständnis zuwiderlaufende These einsetzen]“. Dieser apodiktische Stil brachte mal jemand auf die originelle Formel, Benjamin betreibe eine „Konstatierontologie“. Tatsächlich hatte er es in seiner Zeit immer sehr schwer, ernst genommen zu werden. Während Husserl sich daran machte, die Philosophie zu einer „exakten Wissenschaft“ zu machen und in seinem Schatten Heidegger zum alles entscheidenden Schlag gegen die Metaphysik ausholte, stellte sich Benjamin hin und betrieb laut und munter seine metaphysischen Studien, als hätte es Kant und Hegel nie gegeben. (Wobei er mit ersterem durchaus vertraut war … jedenfalls soll er ihn gelesen haben … oder über ihn meditiert haben oder so was … sagt man … ach, weiß der Teufel) Seine Philosophie jedenfalls war keineswegs Zeitgemäß. Er selbst sieht sich in Tradition der Romantik und tatsächlich sind vor allem seine Frühschriften deutlich voraufklärerisch, man könnte sagen prämodern, was seine spätere Marxadaption in sehr eigentümlichen Farben schillern lässt. (Irgendwie, als ob ein rasiertes Känguru in einen Eimer Farbe gefallen ist und sich anschließend im Stroh gesuhlt hat … (hey, so sind nun mal meine Assoziationen), ziemlich strange jedenfalls.)

Noch vor dieser „Marxistischen Wende“, wie man so sagt, versuchte er tatsächlich seine Habil abzulegen (man muss fairer Weise sagen, dass er gar nichterst versuchte sie in Philosophie abzulegen, sondern gleich bei den Germanisten anklopfte). Sie wurde [ natürlich] abgelehnt. Ich hab sie gelesen – ehrlich, ich hätte genauso gehandelt. Wenn ich es mir recht überlege, hätte er bei mir dafür nicht mal den Magister bekommen. Trotzdem, nette Fleißarbeit. … aber dieser himmelschreiende BLÖDSINN ….

Weil er sich schließlich mit dem sehr viel jüngeren Adorno anfreundete, ließ dieser ihn während des Krieges in seiner Exilzeitschrift ein paar Artikel (sehr wenige) publizieren. (Deswegen sagen manche, er sei der Vordenker der kritischen Theorie … (HAHAHAHAA)). Tatsächlich waren Adorno Benjamins Artikel mehr als unangenehm. Selbst in einer Zeit, da Benjamin bereits aus Deutschland geflohen war und in Paris sitzend um jede Publikationsmöglichkeit bettelte, nahm Adorno trotz Benjamins inständigem Flehen nur hier und da einen Aufsatz an und das auch nur nach vielfacher Überarbeitung. Adorno selbst charakterisierte Benjamins Werk gerne als „esoterisch“ und das war keinesfalls nett gemeint. Um so mehr kippte er aus den Latschen, als ihn schließlich die erste Welle der Benjaminrezeption umspülte. Zwar hatte er sie selbst ausgelöst, indem er Benjamin nach dem Krieg und nach dessen Tod zuerst publizierte, aber solch ein Echo hätte er wohl nie erwartet. Die Studentenrevolte hatte Benjamin für sich entdeckt und ihn dann nach den ersten Gehversuchen sogar gegen Adorno selbst gerichtet – Shit happens.

Tatsächlich hatte Adorno einen wesentlichen Zug Benjamins Werk übersehen. Seine universale Zitierfähigkeit. Griffige Formeln, leuchtende Bilder und stechende Ausrufezeichen sind die großen Vorzüge seiner Texte. Tatsächlich gehört Benjamin bis heute zu den meistzitierten Philosophen deutscher Sprache. Damals, als Worte gerne auf Transparente gedruckt oder lauthals über die Straße geschrieen wurden, war Benjamin natürlich die Killerapplication schlechthin. Begründungen brauchte man ja sowieso keine (man war ja eh die Guten), nur laut sollte es sein, und schön musste es klingen, irgendwie intellektuell.

Das war Anfang der 70er. Nach der Revolution machte sich die Kunst an Benjamin heran, und konnte auf diese Weise, trotz des von Hegel ausgestellten Todesscheines, guten Gewissens weiterexistieren. Aus Benjamins assoziativer und metaphysischer Betrachtungsweise ergeben sich bis heute für die Künstler ungeahnte Bauchpinselstriche, die sie seit dem voller Stolz öffentlich vor sich hertragen.

Die zweite große Rezeptionswelle ging dann vom Poststrukturalismus aus. De Man und Derrida hatten sich Benjamins Werk zugewendet, (Man muss sagen, Derrida kann nicht besonders gut Deutsch) und sich hier und da von ihm bestätigen lassen. Seit dem gibt es die putzigsten Versuche Benjamin zum postmodernen Theoretiker avant la lettre umdeuteln. Sie reichen von schlicht hirnrissig bis dreist aber da sind sie ja, wie gesagt, nicht die ersten.

Also, Benjamin heute: Wie kann so was nur passieren? Wie kann Griechenland nur Europameister werden? Das haben sich damals viele gefragt, weil doch eine so durchschnittliche Mannschaft mit einer so antiquierten Spielweise alle A-Mannschaften aus dem Rennen kicken konnte. Aber das ist ganz einfach: Während Deutschland mit seinen Konzepten von Gestern bei den hochmodernen Spielweisen von heute nur noch einpacken konnte, setzte Rehakles mit den Konzepten von Vorgestern einen Stich nach dem anderen. Weil Benjamins Philosophie von Vorgestern ist, ist er eben heute wieder aktuell und sticht in heutigen Debatten locker Leute von Gestern aus, wie zum Beispiel Adorno.


So und nun ist genug gelästert. Gehet hin und lest ihn. Benjamin ist ein wichtiger Philosoph, ja, einer der wichtigsten und das meine ich ehrlich. Warum? Weil er Mut hat. Benjamin hat sich mit Problemen beschäftigt, die viele Philosophen gerne ausklammern. Was ist das gerade für ein Gefühl, das mich erlangt, wenn ich dies tue oder jenes betrachte. Was ist das für eine merkwürdige Macht, die mich ergreift, wenn ich vor einem Kunstwerk stehe. Was ist diese geheime und unaussprechliche Sehnsucht, die mich befällt, wenn ich ein Gedicht lese. Benjamin macht das Sprachlose sprechen. Versprochen.

15 Zitate:

... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"Klar passt Benjamin in unsere heutige Zeit. »Die Kunst im Zeichen ihrer Reproduzierbarkeit« wurde sicher nicht nur von Andy Warhol gelesen, sondern sicher auch von einigen Medienleuten die heute so Sendungen wie »deutschlandsuchtdensupastar« produzieren. Wie sonst käme man denn auf diesen Müll? OK, ich gebs zu ein weiches Hirn reicht dafür ja schon.

Ich finde Benjamin sehr anstrengend, aber die Grundideen dahinter teilweise sehr einleuchtend. Er hätte sich aber auch echt mal knapper fassen können, geb ich auch zu."

Dienstag, Dezember 13, 2005  
... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"Ach so, ich sollte anfügen, dass das oben genannte Werk das einzige ist was ich von Benjamin bisher gelesen habe (nur um Missverständnissen …)."

Dienstag, Dezember 13, 2005  
... oder wie Blogger mspro einst so treffend sagte:

"Noch knapper? Wie soll das gehen?

Aber den Kunstwerkaufsatz den DSDS Kontext zu packen, wär mir nicht eingefallen. Meinst du damit die Einstellung: "Die Aura is ja eh futsch, können wir also endlich auf die Kacke hauen", oder was?"

Dienstag, Dezember 13, 2005  
... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"Ich mag es, wenn wir unwissenden mit Hilfe von Fußballmetaphern eingeweiht werden. ;-)"

Mittwoch, Dezember 14, 2005  
... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"Also den Eintrag fand ich auch mal schön lesenswert. Leider ist mir Unwissendem mit Fussballmetaphern ja nicht zu helfen, umso besser daß ich acuh den Kunstwerkaufsatz gelesen hab. An dieser Stelle möchte ich mich nochmal herzlich bei meinem edlen Spender dafür bedanken und fordere hiermit die 3 Klebesterne für´s Klassenbuch. Nagut, jedenfalls, Michi, ich dachte Du magst Benjamin? Jetzt wohl nicht mehr, scheint´s. Ja so ist das mit der Liebe im Zeichen der Mysthik. Zuerst wird der Angebetete idealisiert damit er dann besser vom Thron gestossen werden kann."

Mittwoch, Dezember 14, 2005  
... oder wie Blogger mspro einst so treffend sagte:

"@enno, Fußball und Philosophie teilen die selben universellen Gesetze. Chaos und unberechenbarkeit zum Beispiel, Sepp Herberberger und grölende Fans.

@ da, lieber mate, muss ich leider feststellen, dass du den Text mal wieder nicht zu ende gelesen hast. Ja, ich mag Benjamin, nachwievor. Aber trotzdem danke für dein nettes Kommentar.
Ich teile im übrigen deine Überzeugung, dass man nur hassen kann, was man einst geliebt hat, genauso wie man nur auskotzen kann, was man vorher gegessen hat. ;-)"

Mittwoch, Dezember 14, 2005  
... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"Benjamin hatte es scheinbar einfach gut drauf, seine Ideen zu kommunizieren. Wer gelesen oder gehört werden will, muss sich (oder das Thema) auf plakative Dinge reduzieren können. Da können viele weisere Leute auch noch von lernen...DSDS ist halt plakativ...wieso nicht mal geistig Anspruchsvolles kreativ, anspruchsvoll plakativ für die Masse verfassen???

Wieso muss scheinbar immer ein Widerspruch zwischen (Hoch-)Kultur und Verständlichkeit (Kommerz) bestehen?"

Mittwoch, Dezember 14, 2005  
... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"@ms: OK, ich gebe zu, der Bogen ist von mir sehr weit gespannt: Von Benjamin über Warhol zu DSDS. Ich meine damit die ›fünfzehn Minuten Ruhm für Jederman‹, was Warhol wiederum von Benjamin abgeleitet hat. (Mein Kunstgeschichte-Doz. meinte immer: »Ja, die haben alle ihren Benjamin gut gelesen.«)

Nebenbei bemerkt: Sehr traurig fand ich, dass Benjamin sich auf der Flucht vor den Nazis selbst das Leben nahm und man ihm erst sehr spät einen Gedenkstein (ich glaube in Frankreich) errichtete."

Mittwoch, Dezember 14, 2005  
... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"Ach, ja. Falls es interessiert: Zum Thema ›Kunst, Fussball und Benjamin‹, hatte ich bei mir schon mal was geschroben."

Mittwoch, Dezember 14, 2005  
... oder wie Blogger mspro einst so treffend sagte:

"@Christian. Nur weil man Benjamin gut zitieren kann, heißt das noch lange nicht, dass er leicht verständlich ist. Das habe ich auch nie behauptet. Ganz im Gegenteil. Benjamin ist schwer, nix für mal eben so. Man muss sich in seine Tiefe einlassen und hat immer noch keine Garantie irgendwas zu kapieren, denn er ist schlicht unlogisch und fabulös. Er begründet nie etwas und hält sich immer wolkig. Benjamin ist kein Pop. (Obwohl dann ja doch irgendwie ... hm, "Benjamin und Pop" wär sicher ne Doktorarbeit wert ... mal Dietrich Dietrichsen fragen ...)

@Double, your Text make me think ...,
Was Kunst ist und was nicht, sollte man vielleicht allgemein unbeantwortet lassen. Lassen wir lieber Menschen wie Benjamin für solche Fragen die Stürmer spielen und diskutieren anschließend deren Resultate. (Insofern ist Benjamin der Ecce Homo der Philosophie - er hat sich für uns alle das Hirn verbrannt ...)

Keine Ahnung, ob Warhol Benjamin gelesen hat. Macht sicher Sinn, bei dem Konzept der seriellen Bildproduktion. Aber Benjamins Text ist ja sehr ambivalent. Das, was er Aura bezeichnet und dessen Verlust er konstatiert, ist einerseits eine revolutionäre Möglichkeit und gleichzeitig die letzte Vertreibung aus dem Paradies. Aber wenn man Benjamin kennt, dann weiß man, dass die Trauer überwiegt.
Was ist das, ein Original, was ist das, eine Kopie? Was ist die Aura? Keine Ahnung, ehrlich. Und Benjamin bleibt uns auch die Antwort schuldig. Aber immerhin hat er dem Ganzen einen Namen geben. Und seiner Ansicht nach reicht das schon ...

(ps. an alle: Hätte nie gedacht, dass das Thema so auf Resonanz stoßen würde. WOW. Das freut mich wirklich)"

Donnerstag, Dezember 15, 2005  
... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"Original, Kopie, Aura...Peter Bickel knüpft an Benjamin an, bezieht sich dabei ausschließlich auf Musik und beantwortet einige Fragen. Sehr lesenswert.
Bickel, Peter: Musik aus der Maschine: computervermittelte Musik zwischen synthetischer Produktion und Reproduktion, Berlin 1992"

Freitag, Dezember 16, 2005  
... oder wie Blogger mspro einst so treffend sagte:

"und welche Fragen beantwortet er? Ach, dieser Aura-Begriff ist doch sooo 42...
;-)"

Freitag, Dezember 16, 2005  
... oder wie Blogger mspro einst so treffend sagte:

"webcat, welches Blog? In deinem Profile ist keines angegeben. Und welchen Unterschied meinst du denn?"

Freitag, Dezember 16, 2005  
... oder wie Anonymous Anonym einst so treffend sagte:

"wg. webcat: dieses Blog: http://mamasatworklog.twoday.net/

;-)"

Samstag, Dezember 17, 2005  
... oder wie Blogger mspro einst so treffend sagte:

"ahja, danke doubl"

Samstag, Dezember 17, 2005  

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