Einleitung
FÜr die die es noch nicht wissen: Der Titel lautet:
Der Ort „Walter Benjamin“
Name und Übersetzung im Werk von Jacques Derrida und Walter Benjamin
In „Die Aufgabe des Übersetzers“ bezeichnet Benjamin Hölerlins Sophoklesübersetzung als „Urbilder ihrer Form“. Er sagt nicht etwa, dass die Hölderlinübersetzung die Übersetzung eines Urbildes sei, sondern er sagt, diese Übersetzung oder ihre Form sei selbst ein Urbild. Sie ist also die Übersetzung schlechthin, das Ideal oder der Prototyp, das allgemeingültige Beispiel einer Übersetzung. Als ein abgeleitetes Urbild ist es also das Urbild der Ableitung oder das Urbild des Ableitens im Allgemeinen.
Benjamin konstatiert dies ganz selbstverständlich, ganz ohne Beunruhigung und ohne eine Rechtfertigung dieses offensichtlichen Paradoxes. Von welchem Ort aus kann Benjamin mit solch einer Bestimmtheit vom Urbild der Übersetzung sprechen? Von welchem Ort aus lässt sich das Urbild und Übersetzung in eins denken? Dieser Ort ist, so wird hier angenommen, der Ort „Walter Benjamin“. Ihn auszumachen soll Gegenstand dieser Arbeit sein, obwohl oder gerade weil dieser Ort kaum umstrittener sein könnte. Schon wenn es um die Frage geht, ob Benjamin in der Philosophie oder eher in der Literaturkritik zu verorten sei, ob man ihn der Theologie, der Esoterik oder doch dem Materialismus zurechnen sollte, ob man ihn vielleicht der kritischen Theorie oder eher dem Poststrukturalismus zuordnen kann, ob er als Kantschüler oder schon als Hegelianer gelten darf, ob er vormodern, modern oder postmodern sei – es gibt nur wenige Kategorien, in der Benjamin noch nicht gesehen wurde. Diese Uneinigkeit in der Benjaminforschung und die Heterogenität seiner Auslegung spiegeln sich, so scheint es, in diesem Begriff des „Urbilds der Übersetzung“ als der Ort all der Möglichkeiten seiner Aneignung. Benjamin ist vielleicht selber den heiligen Texten ähnlich, von denen er sagt, sie seien „übersetzbar schlechthin“.
Einer der Orte, von dem her Benjamin heute gedacht wird, ist vielleicht deshalb häufig in der Dekonstruktion situiert worden. Tatsächlich decken sich viele Gedanken und Themen Benjamins mit denen Derridas und auch Derridas ausdrückliche Bezugnahmen auf Benjamin runden dieses Bild ab. Vor allem „Übersetzung“ und „Name“ sind Begriffe, die in den Werken beider Autoren eine wichtige Stellung einnehmen. Es scheint fast so, als würden die beiden Werke auf eine gewisse Weise kommunizieren. Deshalb soll Derrida hier den relativen Bezugspol bilden, als ein Ort an dem die Suche nach dem Benjamins sich immer wieder neu ausrichtet. Dieser Ort ist nicht zu verstehen als der Ort, an dem man Benjamin ausrichten sollte oder müsste. Er ist aber auch nicht rein willkürlich oder zufällig, sondern er ist ganz bewusst als einer der möglichen Orte ausgewählt, von dem man, wie mir scheint, Benjamin übersetzen kann. Dieser Ort ist zudem vollkommen unfähig meine ganz persönlichen Präferenzen zu leugnen und er wird mein Bild von dem Ort, den ich vorgebe zu suchen schon von vornherein vorverorten.
Derrida hat in seine Philosophie keinerlei „System“ gebracht. Ein System, verstanden als in sich abgeschlossenes theoretisches Modell, ist grundsätzlich mit Derridas Philosophie der Dekonstruktion unvereinbar. Die Dekonstruktion arbeitet vielmehr auf den Systemen anderer, vornehmlich derer der westlichen Philosophie, die sie aber eben dadurch grundsätzlich in Frage stellt. Diese Infragestellung ist dabei immer auch die Infragestellung des Systems „System“ oder des Modells „Modell“ an sich. Denn ein Modell oder ein System impliziert immer eine durch idealisierte Erklärungsmuster gerechtfertigte Deutungsmacht, also eben genau das, wogegen sich die Dekonstruktion seit jeher wendet.
Diese Nicht-Systematik der Dekonstruktion stellt jeden Autor, der sie darstellen will, vor ein Problem. Eine systematische Einführung in die Dekonstruktion kann es also nicht geben. Aus diesem Grund wird hier auch auf einen einleitenden theoretischen Teil, der die Dekonstruktion „erklärt“ verzichtet. Stattdessen soll sie anhand verschiedener Texte Derridas vielmehr „in Szene“ gesetzt werden. Dabei wird die Anwendung auf Benjamins Konzepte seiner Philosophie zugleich erprobt.
Benjamins Werk ähnelt dem Derridas in diesem Punkt. Auch er hat keine „Theorie“ hinterlassen. Es finden sich vielmehr Theoriefragmente, die weit verstreut in Benjamins Schriften, einerseits immer wieder unterschiedlich reformuliert werden aber andererseits eine Kontinuität durch eine wiederkehrende Terminologie und Metaphorik versprechen. Allerdings sind die Terme und Bilder in ihrer Wiederkehr niemals sie selbst, sondern verhüllen sich jedes mal in neuen Metaphern, Namen und Bildern. Diese Unstetigkeitmacht es notwendig, sie ineinander zu übersetzen und so eine Kontinuität zu evozieren, die das Denken Benjamins überhaupt lesbar macht. Dieser Notwendigkeit der Übersetzung soll insoweit Rechnung getragen werden, als die Lektüren der Texte jeweils für sich vonstatten gehen, aber dabei wiederum den Anschluss zu den vorher herausgearbeiteten Merkmalen suchen. In diesen Durchgängen wird sich eine Spur oder Bahnung herauskristallisieren, denen durch unablässiges Übersetzen versucht wird zu folgen, immer getragen von der Hoffnung und dem Glauben an diesem Ort „Walter Benjamin“ anzukommen.
Das gleiche gilt ebenso für die angesprochenen Parallelen zwischen Derrida und Benjamin. Ihre Konzepte einander gegenüberzustellen und zu vergleichen erscheint nicht ausreichend. Vielmehr soll es darum gehen, Derrida mit und gegen Benjamin und Benjamin mit und gegen Derrida zu denken. Auch hier muss also Übersetzungsarbeit geleistet werden und die Parallelen, von denen hier so vorschnell die Rede ist, müssen in diesem stetigen Prozess erst hergestellt werden.
Ich werde also ab und zu auch eine Übersetzung der beiden Philosophen ineinander versuchen. Diese Übersetzungen werden sicher an machen Stellen gewagt erscheinen. Man muss aber eingestehen, und darum wird es in dieser Arbeit auch gehen, dass eine Übersetzung grundsätzlich ein Wagnis ist.
----Ende ->Kommt natürlich noch mehr rein. Ist nur ein erster grober Entwurf. Über kritisches und auch wohlwollenden Feedback in den Kommentaren wäre ich sehr dankbar.
Nachtrag: Hab nochmal ein Update nachgeschoben. Danke Doubl, hast recht :-)
8 Zitate:
Kommentar veröffentlichen
<< Home