Too Cool for Internet Explorer

11.7.07

Das Ende des Wahnsinns in 10 Stolpersteinen

Bei Mercedes Bunz wiedermal ins Grübeln gekommen. Dabei ist das hier rausgekommen. Zu viel für einen Kommentar, wie ich finde, also besser hier:

1. würde ich sagen, dass das, was wir erleben werden, der Popkultur nicht diametral oder antagonistisch gegenüberstehen wird, jedenfalls zunächst, sondern sich sehr bewusst über ihr errichten wird, denn

2. wir erleben das ja, wie man sehr schön der letzen Mindestenshaltbarausgabe sehen kann, in der Don Dahlmann verkündet, dass Bloggen Pop ist. Aaaaber es wird gleichzeitig völlig anders werden und die Popdiskurse in den Blogs werden die Regisseure gewesen sein, die abgefilmte Theaterstücke gezeigt haben, bevor sie auf die Idee mit der Schnitttechnik kamen. Also so frei nach McLuhan. Natürlich wird und kann man das machen, am Anfang, wenn man die Eigenheiten des Mediums erst noch ausforscht, aber dabei wird es nicht bleiben. Definitiv. Was mich zum Propheten werden lässt, der sagt: die Entwicklung geht vielmehr

3. hin zu einer "Bekenntniskultur", wenn ich das mal vorsichtig und vorläufig wagen darf so zu nennen. Es wird ein kultureller Entwurf aus dem Geiste des Opensource sein, wie alle wichtigen digitalen Bewegungen der letzten 10 Jahre. "Du hast eine Information? Dann her damit!" Transparenz und Großzügigkeit wird das neue Paradigma sein, auch alltagskulturell, also wird

4. das Geheimnis, das Geheimnisvolle und damit das Hip- und Cool-sein auf Dauer den Beigeschmack des Geizes erhalten. Und der unangemessenen Arroganz. Denn das Neue wird ein System sein, das wieder mehr auf der klassischen Reziprozität der Gabe ausgelegt sein wird. Derjenige ist cool, der am meisten gibt (d.h. vor allem auch preisgibt, nicht für sich behält: sich öffnet) Daraus folgt:

5. Hipsein wird so unhip geworden sein, dass alles popkulturelle Rumgepose so lächerlich wirken wird, wie 80er-Jahre-Frisuren in den 90ern. Nur dass sich halt keine weiteren "großen" Trends werden festmachen lassen, denn

6. die Satisfikationsfähigkeit einzelner Trends wird in ungekannte tiefen fallen, weil sich die Menschen nicht mehr einheitlich orientieren. Die Peergroup wird noch mal etwas völlig anderes werden, noch viel autonomer in ihrer Entwicklung, durchlässiger aber auch viel prägender durch eigene, unerschöpfliche Informationskanäle. Kaum übersetzbar zwischen Peergroup zu Peergroup wird das kulturelle Kapital dort gebunden und aufgeteilt sein und die Toleranz zwischen den Groups wird alleine durch ihre Vielheit geboten sein. Von Rocker vs. Popper zu Hiphopper vs. Metaller vs. Punker vs. Raver etc. Nimm diesen Prozess und lass ihn exponentiell explodieren, sowohl was die Intensität der Prägung als auch die Gesamtzahl der Groups angeht. Und stell vielleicht noch die Musik als einziges Versammlungszeichen in Frage. Dann bist Du ziemlich genau

7. bei dem kulturellen Longtail, dem die Referenz, jedenfalls die allgemein verständliche, mehr und mehr abhanden kommt. Kommen wird. Das, was die Popkultur ausmacht, die augenzwinkernde Referenz, das wissende andeuten, wird sich entweder nur auf die Zeit bis jetzt beziehen können oder aber einfach verschwinden, weil ihr das Futter ausgehen wird. Die Popkultur könnte durchaus verhungern am Mangel an gemeinsamen Nennern in dieser neuen Welt.

8. Der aber gleichzeitig dadurch jeglicher Begriff der "Wissenslücke" abgehen wird. Was sollte das noch sein, eine "Wissenslücke", also jenseits eines kanonisierten Allgemeinwissens, in einer Zeit, in der jeder noch so kleine Teildiskurs jeden Tag seine unlesbar vielen Neuigkeiten auf den Markt schmeißen wird. Was man nicht wuppen kann, wird auch nicht verlangt werden. Oder kennt hier jemand alle deutschsprachigen Websites? Alle deuschsprachigen Websites zum Thema Musik? Alle zum Thema Hiphop? Nein? Wie uncool!?
Du kennt den neusten Trend nicht? Welchen denn jetzt von den 234, die alleine heute aufgeploppt sind? E.G.A.L! Weil

9. Das große Egal der Weltanschauung wird indes ersetzt durch die eigene Stimme. Es wird sich eine Repolitisierung ereignen, die aber nichts mehr gemein hat mit der Politik, wie wir sie kennen. Es wird eine politische Generation entstehen, die jenseits der üblichen Labels agiert, die sich nicht organisiert und sich nicht in Gruppen fasst, solange es nicht nötig ist. Sie wird "das Wählengehen" vielleicht nicht mal mehr verstehen. Politisierung der Stimme, jeder ist ein Redenschreiber. Keiner folgt irgendwem. Aber es wird heftig diskutiert werden. Und dabei wird alles möglich sein: Rassistische Einwanderungsbefürworter, ökologische Wirtschaftsfanatiker, totalitäre Anarchisten. Es ist eine Frage der Zeit, wann das politische System sich dem fügen wird müssen. Aber eines wird es nie wieder geben: Eine "Bewegung", weshalb

10. sich auch nichts mehr von hier nach dort, von links nach rechts, von jung nach alt, von whatever bewegen wird, wie es noch jede Jugendkultur gemacht hat, denn es wird nichtmal eine Jugendkultur gewesen sein. Diese Entwicklung wird alles und nichts umfasst haben, wie man schon heute sieht. Es gibt keinerlei Homogenität, nicht politisch, nicht sozial, nicht mal wirklich altersstrukturell. Und selbst wenn, jede Homogenität wird ausgelöscht werden, früher oder später. Zersetzt in seine Einzelnen Fädchen. Nach der Popkultur kommt keine Kultur mehr, die den Namen verdient. Vielleicht ist es das: Mehr noch das Ende der Kultur an sich, als das der Popkultur.

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